Zeit vergisst nicht

Unter dem Motto #wirschreibenzuhause rief Sebastian Fitzek während der Corona-Quarantäne  zum ersten interaktiven Schreibwettbewerb auf. 1142 Menschen beteiligten sich daran. - April 2020

 

Folgende Vorgaben gab es hierzu:

- Die Geschichte sollte unter dem Thema "Identität" stehen.

- Jemand findet ein fremdes Handy, auf dem er/sie Bilder von sich selbst entdeckt.

- Die Hauptfigur hat ein dunkles Geheimnis.

- Das Handlungsmotiv des Gegners ist Rache.

- Unter dem dunklen Geheimnis leidet der Gegner noch heute.

 

 

 

Zeit vergisst nicht

 

Er hört ein tiefes Donnergrollen. Der Boden bebt. Vögel schrecken auf und fliegen in alle Richtungen davon. Plötzlich folgt eine beängstigende, einsetzende Stille! Staub umhüllt ihn, bringt seinen Hals zum Kratzen. Er muss husten und meint keine Luft mehr zu bekommen …!

Theo reißt die Augen auf. Dunkelheit umgibt ihn. Er braucht einige Zeit um zu erkennen wo er ist.

Ja, er liegt in seinem Bett, in seiner Wohnung. Es war wieder dieser schreckliche Alptraum. Er kann ihn nicht deuten. Warum nur träumt er immer wieder diese Szene? Er spürt das es etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hat. Nur was? Theo kann sich noch so anstrengen, aber er kann sich einfach nicht erinnern.

Jetzt geht er erst einmal unter die Dusche, denkt er sich. Sein Schlafanzug klebt nass wie eine zweite Haut an seinem Körper.

Nach dem Duschen hat er sich etwas beruhigt und frühstückt erst einmal ausgiebig. Er isst sein getoastetes Brot mit Marmelade und trinkt dazu eine Tasse Kaffee, dessen wohlvertrauter, heimeliger Duft ihn leider auch nicht ganz beruhigen kann.

Seine Gedanken kreisen, wie so oft, immer wieder um diesen merkwürdigen Traum. Er kann sich einfach nicht erinnern, aber es kommt ihm so bekannt, vertraut vor.

 

Frisch gestärkt steigt er in seinen kleinen blauen Fiat 500 und fährt zügig durch den morgendlichen Berufsverkehr in sein Geschäft, Elektro Theo Schwarz GmbH.

Wie üblich ist er als erster im Laden und fährt, noch immer in Gedanken, die Rechner hoch. Da sieht er ein Handys zwischen all den anderen auf der Ablage liegen.

In alter Gewohnheit nimmt er es auf und möchte es gerade in eine Halterung stecken, als er merkt das es keines seiner zu verkaufenden Geräte ist. Theo wundert sich. Dann sieht er es sich genauer an. Vielleicht hat einer seiner Kunden es dort versehentlich liegen gelassen, überlegt er.

Theo schaltet es ein und auf dem Display erscheint ein Foto. Er braucht einige Zeit um es genauer zu erkennen.

Das kann doch nicht wahr sein! Im ersten Affekt möchte er das Handy schnell weit weg werfen, als ob er sich die Finger verbrannt hat, aber es klebt unsichtbar in seiner linken Hand.

Theo läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter. Sein Körper verkrampft sich. Langsam sieht er noch einmal auf das hell leuchtende Feld.

Tatsächlich, da steht sein Name, Theo Schwarz. Aber das ist es nicht was ihm den Schauer den Rücken runter laufen lässt, sondern das sein Name auf dem Foto eines Grabsteines mit einem Datum steht!

 

Theo Schwarz

21.11.2019

 

Das kann doch nicht sein! Was hat das zu bedeuten? Erlaubt sich da jemand einen üblen Scherz mit mir? Muss ich etwa sterben? Will mich jemand umbringen?

Theo muss sich erst einmal hinsetzen, er zittert wie Espenlaub am ganzen Körper.

Mein Name auf einem Grabstein und das am 21.11.19. Heute ist Mittwoch, der 20.11.2019. Das bedeutet in einem Tag! Morgen!

Er kann nicht mehr klar denken, in seinem Kopf dreht sich alles, ihm wird schlecht, sein Magen rebelliert. Sein Körper will ihm nicht mehr gehorchen, zittert – krampft. Schweiß steht im auf der Stirn.

Da geht die Türglocke und Frau Bunt kommt in den Laden, seine Angestellte. Sie sieht ihn am Boden sitzen und fragt ganz erschrocken: „Herr Schwarz, ist mit ihnen alles in Ordnung? Ist ihnen etwas passiert? Was haben sie?“

Aber Theo kann ihr in diesem Moment nicht antworten, er hat einen dicken Kloß im Hals, einen enormen Druck auf der Brust und möchte nur eines – raus hier!

Er kann nur noch mit dem Kopf schütteln und rennt kreidebleich an ihr vorbei hinaus ins Freie, geradewegs zu seinem Auto, setzt sich hinein und startet den Wagen. Wie der Blitz rast er vom Parkplatz, nur weg von hier. Weit, weit weg!

 

Theo fährt und nimmt nichts von der Umgebung wahr. Seine Gedanken fahren Karussell in seinem Kopf.

Sein Blick ist nicht auf die Straße gerichtet, sondern nach innen wo ein unerbittlicher Monolog herrscht.

Warum gerade ich? Wem habe ich etwas getan? Ich bin doch erst

27 Jahre alt! Wie soll es passieren? Wer … ?

Irgendwann hält Theo auf einen Parkplatz und merkt dann erst das er unglaubliches Glück gehabt hat, das ihm bei dieser Irrfahrt nichts passiert ist.

Er steigt benommen, langsam aus seinem Wagen aus und setzt sich auf eine alte hölzerne Bank, die dort für die Rastplatzbesucher bereit steht.

Jetzt erst einmal tief durchatmen und den Kopf nicht verlieren, sagt er in Gedanken zu sich selbst. Er nimmt ein paar tiefe, lange Atemzüge und atmet langsamer aus als er eingeatmet hat. Diese Technik hat ihm sein neuer Hausarzt Dr. Roter beigebracht wenn ihn dieser Alptraum quält oder eine seiner vielen Ängste ihn zu überrollen drohen. Er hat ihm auch erklärt das seine Angststörungen nur ein Teil seiner Persönlichkeit sei, nicht seine ganze Person ausmacht.

Theo lässt seinen Blick in die Weite schweifen und sieht in der Ferne einige Wolken langsam und ruhig am Himmel ziehen. Dann schließt er seine Augen, nimmt den starken Duft des frisch umgepflügten Feldes in seiner Nähe wahr, hört das Rauschen der letzten Blätter im leichten Wind und in der Ferne das rhythmische Dadamm-dadamm eines fahrenden Zuges. Er spürt die warmen Sonnenstrahlen in seinem Gesicht und nimmt deren hellen Schein durch seine geschlossenen Lider wahr. Theo öffnet wieder seine Augen und ihm wird bewusst das er all das schon so oft erlebt, aber noch nie in seinem Leben so intensiv wie gerade eben wahr genommen hat.

Er wohnt erst seit ein paar Monaten hier in diesem kleinen Ort, aber Zeit, so wie heute, mal auf einer Bank zu sitzen und alles um sich herum bewusst wahrzunehmen hatte er sich leider noch nie genommen.

Dann wandern seine Gedanken zu seinem vertrauten Hausarzt.

Durch seinen Umzug hatte er sich damals einen neuen Arzt suchen müssen. Aber mit Dr. Roter hat er einen echten Glücksgriff gemacht. Keiner hat ihn bisher so gut verstanden wie er. Immer wenn Theo in Not ist hört dieser ihm aufmerksam zu und gibt ihm hilfreiche Ratschläge. Neben seiner Praxis nimmt sein Arzt auch an verschiedenen Forschungen und Studien teil und kennt sich daher mit Theos Problemen durch seine Ängste erstaunlich gut aus.

Letzte Woche erst hatte er ihm geraten das er sich vorstellen soll diesen Traum als eine andere Person zu erleben. Eine, die an einer anderen Stelle, als er, steht und sehen kann was da so ohrenbetäubend donnert und staubt, ohne Angst. Und dann die Stille ansprechen und fragen soll warum es ihn verfolgt, was er getan hat?

Auch hatte er angeboten bei einem befreundeten Psychotherapeuten für ihn anzufragen ob dieser ihn mit behandeln könne. Aber davon möchte Theo nichts hören. Dann denken doch die Leute das er einen an der Klatsche habe, schwach sei und würden ihn nicht ernst nehmen. Wenn das raus käme wo er doch gerade erst sein Geschäft eröffnet hat. Das könnte das sofortige aus für seinen Laden bedeuten, der immer mehr neue Kunden gewinnt und in langsam in Schwung kommt.

Nein, Dr. Roter ist der richtige für ihn! Er wird nicht zu jemand anderen, den er nicht kennt, gehen. Zum Hausarzt geht doch schließlich jeder hin und wieder, darüber zerreißen sich die Leute nicht den Mund.

Ja, das ist es! Wenn ihm jetzt einer helfen kann dann ist das dieser Arzt! Theo steigt voller Hoffnung und mit neuem Mut in sein Auto ein und fährt direkt zu ihm.

 

Dr. Roter hat seine Praxis am Rande des Ortes, in einem kleinem, alten aber gemütlichem Haus. Theo stellt seinen Fiat in der Parkbucht direkt vor dem Gebäude ab und betritt die Praxis. Die freundliche Sprechstundenhilfe bitte ihn noch etwas Geduld zu haben, es seien noch vier weiter Patienten vor ihm.

So setzt er sich in das aufgeräumte Wartezimmer und beginnt zu warten. Theo rutscht unruhig hin und her, die Wartezeit erstreckt sich für ihn ins unermessliche. Er blickt fast jede Minute ungeduldig aus seine Uhr. Es sind schon zweieinviertel Stunden vergangen seit er das Handy heute morgen gefunden hat. Ihm bleiben nur noch Stunden, und er verbringt sie hier mit herumsitzen und warten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wird er endlich aufgerufen und geht zögerlich in das vertraute Behandlungszimmer.

Kaum das er über die Türschwelle tritt spürt er eine angenehme Ruhe über sich strömen, wie eine Wolke die ihn einhüllt, welche ihm jedes mal Geborgenheit vermittelt. Hier wird er verstanden, darf sein wie er ist ohne den starken, selbstbewussten Mann vortäuschen zu müssen, der er nicht ist.

Dr. Roter kommt auf ihn zu und reicht ihm seine angenehm warme Hand.

Hallo Herr Schwarz, setzen sie sich doch bitte“, begrüßte ihn der Arzt mit seiner ruhigen tiefen Stimme und zeigt mit einer Hand einladend auf einen Stuhl. Theo setzt sich auf den angebotenen schwarzen Plastikstuhl und der Arzt sich ihm gegenüber hinter seinem Schreibtisch.

Wie kann ich ihnen helfen? Sie wirken sehr aufgebracht, erregt und sehen sehr blass aus.“, erkundigt sich der Arzt freundlich.

Theo weis erst nicht wie er anfangen soll, erzählt dem Arzt aber dann alles was heute bis jetzt passiert ist. Dieser hört ihm aufmerksam zu und sieht ihn dabei mit seinen braunen Augen ernst an, unterbricht ihn aber nicht.

Dann meint er: „Zeigen sie mir doch bitte mal das Foto, vielleicht fällt mir darauf etwas auf.“

Theo holt mit zittrigen Händen das Handy aus der Tasche und schiebt vorsichtig mit seinem rechten Zeigefinger über das Display, als ob es ein rohes Ei wäre. Als er es dem Arzt reicht fällt es ihm vor lauter zittern fast aus seiner Hand.

Dr. Roter sieht sehr lange, schweigend auf das Foto und überlegt dann laut: „Tja, das ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Haben sie Feinde? Wer könnte ihnen etwas antun wollen? Vielleicht ist das alles aber auch nur ein übler Scherz? Weis jemand von ihren Ängsten und möchte ihnen einen Schrecken einjagen?“

Theo überlegt eine Weile und entgegnet: „Ich wohne ja erst seit ein paar Monaten hier in diesem kleinen Ort und kenne so gut wie niemanden. Aufgrund meiner sozialen Ängste meide ich alle außerberuflichen Kontakte, unternehme nichts, treffe keine anderen Leute. Wer sollt sich schon für mich interessieren? Auf andere wirke ich nur steif, verkrampft, unscheinbar und blamiere mich eh nur.“

Es scheint aber so das sich jemand für sie interessiert. Derjenige, der ihnen das Handy hingelegt hat!“, wirft Dr. Roter nun ein.

Ja - nein, außer ihnen und meiner Angestellten kenne ich hier niemanden. Aber nun dieses Foto. Ich glaube das ich wahnsinnig werde vor Angst, ich bekomme kaum noch Luft.“

Langsam, ganz ruhig. Panik bringt sie jetzt nicht weiter. Da machen sie alles nur noch schlimmer.“

Sie haben gut reden. Mir bleiben nur noch ein paar Stunden bis es morgen ist und ich sterben muss! Ich weis nicht was ich machen soll?“

Tja, sie könnten zur Polizei gehen, die nehmen ein Protokoll auf. Aber das ganze wird einige Stunden dauern. Und machen werden die nichts. Erst wenn etwas passiert ist handeln sie. Und wenn ich sie mir so ansehe ist ihnen noch nichts geschehen, außer das sie ein Foto mit einem Grabstein auf einem Handy bekommen haben.

Polizeischutz, denke ich mir werden sie auch nicht bekommen. Soviel Polizisten wie angedrohte Taten gibt es nicht. Da müssten sie schon als ein wichtiger Zeuge vor Gericht geladen sein. Daher denke ich, wäre das nur Zeit Verschwendung, die sie wichtiger nutzen sollten“, führte der Arzt aus.

Theo hat ihm mit ängstlichem Blick zugehört, überlegt und meint: „Ja, ich glaube sie haben recht. Die Polizei wird mir nicht helfen. Haben sie sonst eine Idee, bitte?“

Der Arzt steht auf, kommt zu ihm und legt ihm beruhigend ein Hand auf die Schulter. „Herr Schwarz, machen wir es so. Ich halte meine Sprechstunde hier jetzt fertig, danach mache ich Hausbesuche. Nachmittags bereite ich etwas für meine Forschung vor und da ich heute Abend keine Sprechstunde habe komme ich stattdessen um 19 Uhr zu ihnen nach Hause. Dann bleibe ich bei ihnen und wir überlegen gemeinsam was sie machen können? Vielleicht habe ich auch im Laufe des Tages eine Idee, die ich ihnen am Abend mitteilen kann. Da habe ich mehr Zeit für sie als jetzt gerade,“ schlug er ihm vor.

Vielen Dank, Herr Doktor. Ich werde auf sie warten“, bedankt sich Theo. Auch wenn ihm der Gedanke an all die vielen Stunden dazwischen ein flaues Gefühl im Magen machen. Dann bleiben ihm nur noch ein paar Stunden bis zu seinem Tod, denkt er.

Theo reicht dem Doktor zum Abschied seine Hand und verlässt das Behandlungszimmer und geht gedankenverloren an der Sprechstundenhilfe, die ihm ein freundliches „Auf Wiedersehen!“ hinterher ruft hinaus ins Freie zu seinem Auto.

 

Aufmerksam und auf den Verkehr achtend fährt er zu sich nach Hause um weiter überlegen zu können wem er etwas getan haben könnte und was das ganze zu bedeuten hat.

Zuhause angekommen geht Theo vorsichtig zu seiner Haustür und blickt verstohlen in alle Richtungen ob sich etwas verändert hat oder jemand ihn beobachtet. Er kann nichts sonderbares feststellen, schließt mit bebenden Händen seine Haustür auf und betritt die Wohnung. Er horcht hinein ob er etwas ungewöhnliches hören kann, jemand ihm auflauert, aber es ist still wie immer.

Theo lässt sich Wasser in ein Glas einlaufen und nimmt erst einmal einen großen Schluck und leert schließlich den ganzen kühlen Inhalt hinunter.

Dann fällt ihm seine Angestellte Frau Bunt ein. Beim zweiten klingeln hebt sie ab :“ Elektro Schwarz GmbH, wie kann ich ihnen helfen?“

Ich bin es Frau Bunt, Herr Schwarz. Ich wollte mich für heute morgen entschuldigen. Mir ging es schlagartig nicht gut und daher musste ich ganz schnell aus dem Geschäft heraus gehen. Aber mir geht es schon etwas besser. Ich werde allerdings morgen noch zu Hause bleiben. Sie kommen doch ohne mich klar?“

Aber natürlich, machen sie sich keine Sorgen. Es freut mich das es ihnen etwas besser geht. Ich war schon sehr erschrocken, aber nun bin ich beruhigt da ich von ihnen höre. Dann wünsche ich ihnen eine gute Besserung und vielleicht bis übermorgen?“

Ja, vielleicht“, sagt er und spürt einen dicken Kloß im Hals. „Auf Wiedersehen.“

Auf Wiedersehen. Und wenn sie etwas brauchen dürfen sie mich gerne anrufen.“

Vielen Dank, das ist lieb von ihnen.“

Damit beendete er das Gespräch. Eine Zeitlang bleibt er in Gedanken versunken sitzen und spürt eine tiefe Trauer in sich aufsteigen, ohne das er es sich diese erklären kann.

Obwohl er keinen Hunger verspürt macht er sich ein paar Rühreier, die ihm etwas anbrennen, weil er mit dem Kopf nicht bei der Sache ist. Dazu toastet er sich ein Weißbrot. Ohne Appetit und etwas zu schmecken isst er sein Essen. Dabei kreisen seine Gedanken immer wieder um die Schrift auf dem Grabstein Theo Schwarz 21.11.2019.

Das Ticken seiner Wanduhr nimmt er so laut wahr als ob jemand einen Nagel in die Wand schlägt.

Er läuft unruhig in der Küche hin und her.

Die Zeit vergeht quälend langsam bis mein Arzt zu mir kommt und doch auch viel zu schnell, denn dann ist es morgen und ich werde sterben.

Ich habe keine Ahnung wie? Wird es ein schneller Tod sein, oder ein langsamer, qualvoller?

Morgens, mittags, abends oder erst in der Nacht?

Sein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Theo kann seine Gedanken nicht mehr stoppen.

Da denkt er auf einmal an seine Eltern und Tränen steigen ihm in die Augen.

Werde ich sie überhaupt noch einmal in meinem Leben wiedersehen?

Wie werden sie meinen Tod verkraften?

Er überlegt ob er gleich zu ihnen fahren soll, aber dazu reicht die Zeit nicht mehr. Er sieht auf die Uhr – 14:05.

Ich möchte sie ein letztes mal zumindest hören und mit ihnen reden können.

Aber was soll ich sagen? Was sagt man zu seinen Eltern wenn man zum letzten mal die Möglichkeit hat mit ihnen zu sprechen?

Theo überlegt ob er ihnen die Wahrheit erzählen soll, verwirft den Gedanken aber sofort wieder. Sie würden sich große Sorgen machen oder gar zu ihm fahren, und dann stößt ihnen vielleicht auch noch etwas zu.

Nein, er kann und wird ihnen nichts von dem Foto auf dem Handy erzählen. Entschlossen wählt er die Nummer seiner Eltern.

Beim vierten Klingeln hebt seine Mutter ab. „Schwarz“, meldet sie sich.

Hallo Mama.“

Theo, hallo. Wie schön das du anrufst. Bist du denn heute gar nicht in der Arbeit?“

Nein, mir ging es nicht so gut. Ich habe mich heute morgen nicht so wohl gefühlt, aber es ist schon besser geworden. Mach dir keine Sorgen.“

Dann ist es ja gut. Du kommst doch in zwei Wochen zu meinen Geburtstag, wie ausgemacht?“

Ja, natürlich. Ich freue mich schon euch wieder zu sehen“, sagte Theo und musste seine Tränen zurückhalten. Ihm zerreißt es das Herz seiner Mutter nicht die Wahrheit sagen zu können.

Theo! Ist alles in Ordnung?“

Er schluckt schwer und bemüht sich zu lächeln, auch wenn sie es nicht sehen kann hofft das es sich auf seine belegte Stimme übertragen wird. „Alles okay, Mutter. Ich wollte dich nur mal hören.“

Ach Sohn, das ist lieb von dir.“

Ihm fielen keine Worte mehr ein die er sagen könnte.

Mutter?“

Ja?“

Ich, ich …“, seine Stimme versagt. Er atmet tief ein.

Ich habe dich lieb, Mama.“

Das weis ich doch. Ich habe dich auch lieb, Theo.“

Tschüss, Mama. Sag Papa bitte einen lieben Gruß von mir.“

Mach ich. Tschüss. Bis bald, ich freue mich schon auf dich.“

Bis bald“, bringt er nur noch mit großer Mühe heraus.

Er drückte die rote Taste und beendet das Gespräch.

Theo legt seine Hände vor die Augen und weint. Innerlich zerreißt es ihn vor Schmerzen. Es hätte bestimmt noch so vieles gegeben was er ihr noch hätte sagen können, aber er hat es nicht gekonnt.

Lange sitzt er so da und lässt seinen Tränen freien lauf, jammert, klagt. Als er keine Tränen mehr hat steht Theo auf und geht wieder in seiner Wohnung auf und ab. Inzwischen zeigt die Uhr 17:37.

So sieht also der letzte Tag meines Lebens aus.

Er überlegt wie er die Zeit bis 19 Uhr noch sinnvoll nutzen kann und kommt zu dem Entschluss für den Arzt und sich etwas zu essen zu kochen. Wenn Dr. Roter schon extra sich die Zeit für ihn nimmt und zu ihm kommt, dann soll er wenigstens etwas zu Essen haben, als kleine Anerkennung.

Theo schaut in seinen Kühlschrank und entscheidet sich für Spaghetti Bolognese mit einem frischen, gemischten Salat.

Pünktlich um 19 Uhr ist Theo mit dem Kochen und Tisch decken fertig als es an seiner Haustür klingelt. Er geht mit einem kribbeln im Bauch hin und öffnet sie erwartungsvoll. Dr. Roter steht, wie vereinbart, davor.

Grüße sie, Herr Dr. Roter.“

Hallo Herr Schwarz, hier bin ich wie ausgemacht.“

Kommen sie doch bitte herein.“

Der Arzt betritt die Wohnung und sie gehen gemeinsam in das behagliche Wohnzimmer. Theo ist sehr aufgeregt und fängt schnell an zu sprechen . „Ich habe uns etwas zu essen gemacht. Ich dachte mir das sie vielleicht Hunger haben.“

Vielen Dank, Herr Schwarz. Später gerne. Ich möchte zuerst mit ihnen reden.“

Ja, gerne. Ist ihnen etwas eingefallen?“

Nein, leider nicht. Ich dachte mir das wir zusammen noch einmal alles durchgehen und dabei vielleicht auf etwas stoßen könnten.“

Theo erzählt noch einmal von Anfang an was am Morgen geschehen war. Wieder hört der Arzt ihm aufmerksam zu. Theo merkt das er wieder aufgewühlter, das Zittern stärker wird. Er erzählt dem Arzt auch von seinem letzten Anruf mit seiner Mutter. Er kann dabei nicht mehr an sich halten und muss wieder weinen, so sehr schmerzt es in seiner Brust.

Dr. Roter macht ein nachdenkliches Gesicht. Er mustert ihn lange, das es Theo ganz nervös macht. Er kann dem Blick des Arztes nicht standhalten und springt auf und geht wieder im Zimmer auf und ab.

Da fängt der Arzt mit ernster, ruhiger Stimme zu sprechen an: „Herr Schwarz, sie wissen das ich neben meiner Praxis auch in der Forschung tätig bin. Ich sehe und spüre ihre Verzweiflung und unbändige, starke Angst.

Es gibt da ein Medikament, welches ihnen zumindest die Angst nehmen kann ohne dabei ihr Bewusstsein zu beeinträchtigen. Es befindet sich noch in der Testphase. Daher brauche ich von ihnen eine Unterschrift das sie mit der Gabe des Mittels einverstanden sind und es auf eigene Gefahr hin nehmen.

Als Arzt muss ich mich da rechtlich absichern.

Damit können sie wieder klarer, scharfer denken. Vielleicht hilf es ihnen und sie bekommen eine Vorstellung wer ihnen mit diesem Foto droht und etwas antun möchte. Ebenso wären sie ruhiger falls wirklich etwas passieren sollte.

Theo überlegt eine Weile ob er das machen soll oder nicht.

Er kämpft innerlich mit sich, ist sich unschlüssig. Der Arzt wartete geduldig auf seine Antwort ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Schließlich kommt Theo zu dem Entschluss das der Arzt recht hat. Vielleicht kann er, wenn er ruhiger ist, einen klareren Gedanken fassen. Es wird zwar nicht ändern was ihm passieren wird, aber er wird ruhiger sein und hätte nicht so wahnsinnige Angst. Vielleicht schafft er es in der Situation mit klarem Verstand so reagieren zu können das er dann nicht sterben muss? Seine Hoffnung wächst.

Ich möchte es versuchen. Wo muss ich unterschreiben?“ fragt er den Arzt. Dieser öffnet seine Arzttasche und holt ein Formular heraus.

Hier unten rechts. Sie bekommen einen Durchdruck für ihre Unterlagen.“

Er reicht ihm einen schwarzen Kugelschreiber. Theo nimmt ihn und unterschreibt schnell ohne das Dokument durchzulesen oder überhaupt näher anzusehen. Warum soll er dies auch machen, er vertraut seinem Arzt. Der möchte ihm doch helfen. Danach reicht er dem Arzt seinen Kugelschreiber und das Schriftstück zurück.

Dann wollen wir keine Zeit verlieren“, sagt der Arzt und holt die notwendigen Utensilien aus seiner Tasche. Zunächst bindet er Theo den linken Oberarm ab und desinfiziert die Armbeuge. Dann zieht er die Spritze auf und setzt sie an der Haut an.

Jetzt wird es einen kleinen Piks machen, nicht erschrecken“, warnt Dr. Roter ihn.

Theo atmet tief, in der Erwartung des kurzen Schmerzes, ein. Langsam und vorsichtig sticht der Arzt in die Vene. Theo spürt es kaum. Auf einmal wird ihm ganz komisch zumute. Er hört die Stimme des Arztes wie aus weiter Ferne. Es ist als ob er in Watte steckt, es ist so unwirklich. Alles entfernt sich immer weiter.

Das war es schon, gleich geht es ihnen be…“ Mehr nimmt er nicht mehr wahr.

 

Langsam und vorsichtig macht Theo seine Augen auf.

Er schließt sie wieder, macht sie wieder auf und sieht – nichts! Alles ist schwarz!

Panik steigt in ihm hoch, sein Atem wird schneller. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals.

Theo möchte seine rechte Hand heben, doch was ist das? Keine zehn Zentimeter kann er sie anheben. Sein Handrücken stößt an etwas hartes, kaltes. Er zieht beide Hände nah am Körper hoch, dreht sie und ertastet das harte, kalte etwas.

Es fühlt sich an wie - Holz, ja es muss Holz sein. Seine Angst steigt ins unermessliche. Er tastet weiter herum und spürt das es Wände neben seinem Körper sind.

Er liegt in einem geschlossenem, dunklem etwas drinnen. Theo schluckt schwer und stößt plötzlich einen lauten, markerschütternden Schrei aus: „Oahhhhhh!“, als ihm bewusst wird das er in einer Holzkiste gefangen ist! Er spürt sein Herz wie einen Hammer bis zum Hals klopfen, immer schneller wird es und schneller und …, sein Körper ist schweiß gebadet.

Theo muss husten, atmet kurz und schnell. Er meint vor Angst wahnsinnig zu werden.

Was soll das hier? Ist das etwa ein Sarg? Muss ich hier sterben? Wer tut mir das an? Warum, warum? Wem habe ich etwas getan?, springen die Fragen nur so in seinem Kopf herum.

Plötzlich, als ob man einen Schalter umlegt, wird Theo ganz ruhig. Er schließt seine Augen, auch wenn es eh dunkel um ihn herum ist, und fängt an nachzudenken.

Wo war ich als letztes?

Ja, Dr. Roter war bei mir zuhause das er mir hilft.

Was hat er gemacht?

Er hat mich ein Formular unterschreiben lassen, das die Behandlung auf meine eigene Gefahr hin geschieht.

Was ist danach geschehen? Mann, Theo konzentriere dich!

Was hat er dann gemacht?

Und da fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.

Er hat mir eine Spritze zur Beruhigung gegeben und dann – bin ich hier aufgewacht, hier in dieser Holzkiste! Aber warum?

Weiter kam Theo nicht mehr zu denken.

Da war doch etwas, ein Geräusch! Er lauscht ganz angestrengt. Da, da ist es wieder! Ein leises rieseln, wie früher als er als kleiner Junge den Sand am Meer zwischen seiner Hand hat durchrieseln lassen. Bei dem Gedanken spürt er wieder das weiche, sandige leichte Kribbeln, wenn der Sand am morgen noch die nächtliche Kühle hatte, wie er durch seine Hand rieselte.

Jäh durchfährt es ihn ! Das kann nur bedeuten das hier in meine Kiste etwas rein rieselt. Weg war die schöne Erinnerung und die Panik kam zurück.

Nein, ich will nicht sterben!“, schreit er so laut er kann. „Hört mich denn keiner! Hilfe!“

Theo trommelt mit seinen Fäusten fest gegen den Deckel über ihn, soweit das für ihn in diesem engen Gefängnis möglich ist.

Hilfe! So hilft mir doch jemand!“ Als er merkt das ihm keiner zu Hilfe kommen wird schlägt die Panik schlagartig in eine tiefe Verzweiflung um.

Theo fängt an zu weinen und brüllt aus Leibeskräften: „Warum nur, warum?“

Er spürt nun das etwas seine Füße einschließt und das dieses weiter, über seine Knöchel, nach oben wandert. Ganz langsam, als ob jemand ihm in Zeitlupe eine Decke hochzieht. Nun riecht er es, ein sandiger, steiniger, wohl vertrauter Duft. Es ist Sand und feiner Kies der da rein rieselt. Er soll lebendig begraben werden!

Nun merkt Theo wie es immer weiter nach oben wandert. Seine Schienbeine sind schon ganz bedeckt. Er spürt den Druck, das Gewicht des schweren Gemisches, während dieses ihm nun schon seine Hüften zu umschließen beginnt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen.

Das ist mein Ende! Worst Case!

Ich möchte aus diesem Alptraum erwachen!“, schreit er.

Es ist nur ein Traum, es ist nur ein Traum, denkt er als Mantra. Wie lange wird mir der Sauerstoff reichen oder ersticke ich wenn es mein Gesicht bedeckt?

Oder drückt das Gewicht des Sandgemisches so fest auf meine Brust das ich nicht mehr atmen kann? …

Theos Gedanken überschlagen sich, überholen sich selbst wie auf einer Autobahn. Er zittert vor Angst. Seine Tränen fließen seitlich über sein Gesicht. Er verzweifelt und hat solche unbeschreibliche Angst wie noch nie in seinem Leben. Und kann nichts dagegen machen. Er ist hilflos ausgeliefert bei dem was da gerade mit ihm passiert.

Das Rieselnde hat inzwischen seinen Bauch erreicht. Theo nimmt vorsichtig seine Hände hoch und führt diese zu seinem Gesicht, das er es schützen kann.

Weiter und immer weiter bahnt es sich seinen Weg nach oben. Das Gewicht lastet nun schwer auf seiner Brust und seine angewinkelten Arme. Er kann nur noch seinen Kopf bewegen. Sein restlicher Körper ist steif wie in einem Gipsbett gefangen.

Ich sterbe ganz alleine.

Ob mich irgendwann jemand finden wird?

Meine Eltern wird es das Herz brechen das ich für immer fort bin. Die Sand-Kiesmischung hat nun sein Kinn erreicht, feine Körner dringen langsam und unaufhaltsam in seine Nase und machen ihm das Atmen , auch durch die Staubentwicklung, schwer.

Plötzlich schaltet sich in seinem Kopf ein Schalter um. Dieser Duft, der Staub, das Rieseln bahnen sich einen Weg in seine Erinnerung. Vor seinem inneren Auge laufen Bilder ab:

Er sieht sich als neunjährigen Jungen mit seinem besten Freund Kevin, der im gleichen Alter ist, einen Feldweg mit tiefen Schlaglöchern entlang rennen.

Sie lachen, albern herum, fangen sich gegenseitig und stehen mitten in ihrem jungen Leben.

Vor ihnen taucht eine dunkle Höhle auf. Sein Eingang ist mit einem Holzbrett quer überspannt. Ein Schild mit einer Schrift ist daran befestigt. Erst beim Näherkommen kann er dieses Schild erkennen. Er sieht sich wie er es langsam lesen kann. BETRETEN VERBOTEN! EINSTURZGEFÄHRDET!

Theo sieht das er Angst hat da rein zu gehen. Aber sein Freund lacht ihn aus und nennt ihn einen Hasenfuß und das er ihn sonst nur noch so nennen würde. Kevin ist immer der mutigere von ihnen und so bleibt ihm nichts anderes übrig als mit ihm in die Höhle zu gehen.

Sein Freund hat zwei Taschenlampen mitgebracht, gibt ihm eine und so gehen sie hintereinander, Kevin mutig voraus, unter dem Holzbrett durch hinein in die dunkle Höhle.

Nur der Schein ihrer Lampen bringt einen schmalen Steifen Sicht auf dem Weg. Es riecht modrig, steinig und es wird, je tiefer sie kommen immer kühler.

Er hat enorme Angst, darf sich diese aber nicht anmerken lassen. Der steinige Weg bringt ihn immer wieder zum Stolpern. Manchmal liegen auch größere Felsteile im Weg. Gefühlt denkt Theo das sie sehr weit in die Höhle vorgedrungen sind, in Wirklichkeit erst ein kurzes Stück. Kevin dreht sich zu ihm um und meint scherzend:

Und, ist doch gar nicht so schlimm, oder? Eine richtige Höhle, da können wir bestimmt einiges entdecken.“ Er grinst breit und seine Augen leuchten abenteuerlustig im Schein des Lichtes.

Plötzlich spürt Theo den Boden unter seinen Füßen vibrieren und ein paar lockere Steine fallen seitlich von den Höhlenwänden. Er schreit erschrocken auf und bleibt wie angewurzelt stehen. Auch Kevin ist nicht weiter gegangen. Sie lauschen beide ängstlich mit angehaltenem Atem in die Stille hinein.

Was war das Theo?“

Ich glaub die Höhle stürzt ein! Wir müssen schnell raus hier!“

Und wieder vibriert der Boden und Gestein rieselt von den Wänden.

Los Kevin, lauf!“

Theo dreht sich blitzschnell um und rennt zum Eingang der Höhle. Der Schein seiner Taschenlampe tanzt unruhig durch die hektischen Bewegungen seiner rudernden Arme vor ihm auf dem Boden.

Nur noch ein paar Meter. Inzwischen vibriert es nicht mehr, sondern es wackelt richtig. Er hat Schwierigkeiten sein Gleichgewicht zu halten und taumelt endlich hinaus ins Freie.

Theo hört ein tiefes Donnergrollen. Der Boden bebt. Vögel schrecken auf und fliegen in alle Richtungen davon. Plötzlich folgt eine beängstigende einsetzende Stille! Staub umhüllt ihn, bringt seinen Hals zum Kratzen. Er muss husten und meint keine Luft mehr zu bekommen …!

Er hebt seinen Kopf und sieht das der Eingang der Höhle verschüttet ist.

KEVIN!“

Jetzt weis er es wieder, alles! Sein bester Freund ist damals verschüttet worden und er hat überlebt. Danach war nichts mehr wie vorher gewesen.

Tränen der Trauer und die nach Jahren zurückkehrende Erinnerung übermannen ihn.

Vor Erschöpfung fallen Theo die Augen zu. Er hat mit seinem Leben abgeschlossen.

Während dessen rieselt es weiter in sein Holzgefängnis.

Die Angst und Panik ist nun einer tiefen inneren Ruhe gewichen.

 

Theos Augenlider flackern. Langsam öffnet er sie und nimmt seine Umgebung unwirklich wahr. Er ist orientierungslos. Es ist wie nach einer Operation. Man wacht woanders auf als man eingeschlafen ist, das ist ein total verstörendes, orientierungsloses Gefühl.

Dann erst wird ihm bewusst das er noch lebt. Er lebt! Und er liegt nicht mehr in dieser Kiste, sondern auf einem kalten Fliesenboden.

Es ist hell und nicht dunkel.

Und er ist alleine, niemand befindet sich hier im Raum.

Langsam kehrt seine Orientierung zurück und er erkennt das er sich in seinem eigenem Keller befindet. Neben ihm steht eine große Holzkiste, sein Sarg, gefüllt mit hellem kräftig riechendem Sandgestein. Langsam und vorsichtig steht er mit wackeligen Beinen auf und wirft zögerlich einen Blick hinein. Oben auf liegen zwei Zettel. Vorsichtig nimmt er sie und erkennt einen als den Durchdruck seines unterschriebenen Formulars. Der andere ist ein handgeschriebener Brief:

Hallo Herr Schwarz,

Sie halten zwei Schriftstücke in Ihren Händen.

Einmal ihr unterschriebenes Formular. Darin willigen Sie ein als Proband an meiner Verhaltensforschung teilzunehmen.

Sie übernehmen darin selbst die Verantwortung für alles was mit Ihnen geschieht, ohne das Sie mich hierfür haftbar machen können. In dieser Forschung, extra nur für Sie entworfen, geht es um psychische Reaktionen im Wissen durch Fremdeinwirkung sterben zu müssen.

Das andere ist dieser Brief.

Zu keiner Zeit waren Sie einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt. Seitlich über Ihrem Kopf habe ich eine Infrarotleuchte in die Kiste gebaut um Sie schnellstmöglich befreien zu können. Auch die Sauerstoffzufuhr war zu jeder Zeit gesichert.

Schon als Sie das erste mal in meine Praxis kamen habe ich Sie sofort erkannt. Es ist jetzt 18 Jahre her. Aber ich werde es nie in meinem Leben vergessen wie die Polizei an unserer Haustüre klingelte und mitteilte das es ein Unglücksfall gegeben hatte. Das mein kleiner Stiefbruder Kevin tödlich in einer Höhle verschüttet wurde. Und das sein Freund Theo überlebt und es rechtzeitig ins Freie geschafft hatte.

Dann ihr Alptraum, der mir meinen Verdacht, das Sie es wirklich sind, bestätigt hat.

Sie konnten mich nicht kennen, da ich sieben Jahre älter war als Kevin und einen anderen Nachnamen hatte.

Ich bin über den Verlust meines geliebten Stiefbruders bis heute nicht hinweg gekommen.

Mein Ziel war es nie Sie umzubringen. Sie wissen ich habe einen Eid geschworen. Dazu wäre ich auch nicht in der Lage. Aber der Gedanke das Sie es selbst erfahren sollen was es bedeutet lebendig und einsam begraben zu werden, so wie mein kleiner Stiefbruder es damals erleben musste, hat mich innerlich aufgefressen.

Daher habe ich Ihr Vertrauen gewinnen müssen um Sie es erleben lassen zu können.

Eine Erleichterung habe ich verspürt als ich in Ihrem Gesicht erkennen konnte und angemerkt habe das Sie sich endlich erinnern können was damals passiert ist.

Damit müssen Sie nun leben.

Dr. Roter