Einmal bitte alles

"Ausschreibung: Frauen Stimmen zur Care-Arbeit . Thema: Einmal bitte alles!" Freie Kunst Anstalt in Dießen - September 2022

 

 

Einmal bitte alles

 

 

Es ist 7 Uhr morgens und ich liege ganz gemütlich in meinem Bett und drehe mich genüsslich um, schlummre wieder ein und werde durch ein lautes Poltern aus der Küche geweckt. Sofort möchte ich schnell aus dem Bett springen und die Treppe runter stürmen. Doch da fällt mit ein, was für ein Tag heute ist und ein freudiges Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Ich muss heute mal nicht reagieren, denn ich habe mit meinem Mann eine Wette abgeschlossen. Da Markus meint, dass ein Haushalt zu führen, die Kinder zu versorgen, Termine einzuhalten keine Arbeit ist und dass ich mir doch meine Zeit frei einteilen kann. Daher haben wir für einen normalen Wochentag an dem er frei hat, vereinbart, dass er sich, vom Aufstehen der Kinder bis zum ins Bettbringen um alles kümmern wird. Und am heutigen Abend werden wir uns zusammensetzen und überlegen, ob meine unbezahlten Tätigkeiten zu Hause anstrengend und Arbeit ist oder nicht.

Wenn Markus einsieht, was es bedeutet einen Haushalt zu führen, bekomme ich von ihm einen Tag Wellness und sollte er alles locker managen, dann bekommt er von mir einen Tandemsprung geschenkt.

Aber nun ziehe ich mich erst einmal in aller Ruhe an und gehe die Treppe hinunter um zu frühstücken.

Als ich in die Küche komme sieht auf den ersten Blick alles normal aus. Tobi unser Jüngster ist vier Jahre und unsere Melanie ist 6 Jahre alt. Tobi besucht noch den Kindergarten und Melanie geht in die erste Klasse der Grundschule bei uns im Ort. Da heute ein normaler Schulwochentag ist müssen beide Kinder in ihre Einrichtungen und sind gerade beim Frühstücken. Markus steht an der Anrichte und ist gerade dabei die Pausenbrote für die beiden zu richten.

Tobi ist schon fertig angezogen, wobei mein Mann nicht bedacht hat, dass er sich beim Frühstücken beschmieren könnte. Und so strahlt mich unser Sohn mit seinem schokoladenverschmierten Mund freudestrahlend an, als er mir einen klebrigen Kuss gibt. Sein T-Shirt hat er eindeutig als Serviette benutzt und es sind längliche Schokoladenfingerspuren zu sehen.

Aber ich habe mir vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Melanie hat ihr Marmeladenbrot schon aufgegessen und muss bald los um ihren Bus zu erwischen.

Markus lächelt mich an und wünscht mir einen guten Morgen und fragt, ob ich einen Kaffee möchte? Ich sehe ihm an, dass er schon ganz schön ins Schwitzen gekommen ist. Aber das würde er jetzt bestimmt noch nicht zugeben. Dankend nehme ich den Kaffee an und setzte mich gemütlich zu unseren Kindern, während mein Mann in aller Eile Melanie in ihre Schuhe hilft, ihr die Jacke anzieht und sie vor das Haus begleitet, wo ihre Freundin auf sie wartet.

Als er zurückkommt, sieht er entsetzt wie Tobi sein T-Shirt aussieht. Schnell rennt er nach oben um ihm ein neues aus dem Schrank zu holen. Dann geht er mit ihm ins Bad um ihn sauber zu machen, umzuziehen und für den Kindergarten fertig zu richten.

Mir schmeckt mein Kaffee heute besonders gut und als ich auf die Uhr sehe stelle ich fest, dass Markus es unmöglich pünktlich zum Kindergarten schaffen kann. Dann lernt er heute die Erzieherin kennen, schmunzle ich in mich hinein.

Verspätet machen sich meine beiden Männer auf den Weg zum Kindergarten.

Nun lasse ich in aller Ruhe meinen Blick durch die Küche schweifen. Die ganze Anrichte ist verschmiert und voller Brotbrösel, ebenso sieht der Küchentisch aus. Da Markus keine Zeit hatte alle wieder aufzuräumen steht die Butter, die Wurstdose, die Schokoladencreme, die Marmelade, die Milch, der Kakao, die Teller, Tassen und das Besteck alles noch herum. Und der Herd flüstert mir leise zu, dass die Milch heute wohl übergekocht war.

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Nach einer halben Stunde kommt mein Mann vom Kindergarten zurück und meint, dass er Tobi mittags bestimmt pünktlich abholen wird, denn sonst lernt er seine Erzieherin noch besser kennen.

Er sagt das heiter, aber ich kenne ihn zu gut und weiß, dass er sich über sich selbst ärgert. Das kann er jedoch an diesem heutigen Tag nicht zugeben.

Ich ziehe mich mit einem Buch ins Wohnzimmer zurück, aber ans Lesen ist nicht zu denken. Heimlich spähe ich über den Bücherrand und schaue Markus zu, wie er die Küche aufräumt und den verbrannten Herd schrubbt. Zwischendurch schaut er zu mir, aber ich bin ja total in mein Buch vertieft und bekomme nichts mit.

Da mein Mann mir zeigen möchte was für ein guter Hausmann er ist, holt er sich das schokoladenverschmierte T-Shirt von Tobi und geht in den Keller um die Waschmaschine anzumachen. Ich wundere mich nicht, warum der dazu fast 20 Minuten braucht. Ich weiß aus Erfahrung, dass er sich nun erst einmal die ganzen Waschmittel durchlesen wird um das beste aus der Wäsche zu machen.

Der Zeiger der Uhr wandert immer weiter und mein Mann studiert das Pfannkuchen Rezept. Die Kinder haben sie sich für heute zum Mittagessen gewünscht.

Aber um 10 Uhr soll mein Mann heute in die Lehrersprechstunde bei Melanies Lehrerin kommen.

Ich frage mich, ob er das noch weiß oder vergessen hat?

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Auf einmal schießt mein Mann wie ein Blitz hoch, zieht sich seine Schuhe und Jacke an und rennt aus der Haustüre. Aha, er hat es nicht vergessen, schmunzle ich in mich hinein.

Gegen 11 Uhr kommt mein Mann zurück und informiert mich, dass unsere Melanie am Deutschförderungsprogramm teilnehmen wird. Aber das hatten mein Mann und ich schon vorab besprochen und sind da einer Meinung. Unsere Tochter tut sich schwerer als andere mit dem Lernen der Buchstaben und dem Lesen.

Nun macht sich Markus daran die Zutaten für die Pfannkuchen zusammen zu rühren.

Da fällt ihm die Waschmaschine ein und er geht in den Keller um die Wäsche herauf zu holen.

Markus hängt sie ordentlich auf den Wäscheständer, wobei ich mich bei der Hälfte frage ob er alles darauf bekommen wird? Nun ja, ich muss feststellen, dass wir ja auch Stühle mit Lehnen haben über die Wäsche gehangen werden kann. Und am Ende sehe ich nun in der Wohnung überall Wäsche hängen.

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Kaum, dass Markus die Wäsche überall aufgehängt hat macht er sich daran die Pfannkuchen zu backen. Wie bin ich nun froh, dass Markus gut kochen kann und somit mache ich mir nun keine Sorgen.

Als er beim 2. Pfannkuchen ist klingelt es an der Haustür. Genervt stellt er die Pfanne zur Seite um nachzusehen wer da draußen steht. Nach kurzer Zeit kommt Markus wieder zurück und bringt die Post und ein kleines Paket mit. Dann stellt er die Pfanne wieder auf die Herdplatte und kümmert sich weiter darum. Ein paar weitere Pfannkuchen später klingelt das Telefon. Markus ist gerade fertig geworden und es liegt ein fettiger, dampfender Duft in der Küche.

Ich bin jetzt schon gespannt wie da die Wäsche, wenn sie getrocknet ist riechen wird.

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Nach dem Telefonat ist es auch schon Zeit Tobi rechtzeitig vom Kindergarten abzuholen. Also macht sich mein Mann auf den Weg und kommt eine halbe Stunde später mit unserem Sohn zurück. Tobi hat heute wieder fleißig Fußball mit seinen Freunden gespielt. Das ist seiner Hose deutlich anzusehen. Also schickt ihn Markus erst einmal zum Umziehen. In der Zwischenzeit deckt er den Mittagstisch und da kommt auch schon unsere Melanie von der Schule zurück.

Wir setzen uns an den Küchentisch und lassen uns die Pfannkuchen mit Marmelade und Apfelmus schmecken.

Nach dem Essen muss Markus wohl oder übel die Küche aufräumen und noch einmal den verspritzten Herd putzen, das ist sonst immer meine Aufgabe.

Anschließend ist es Zeit für Melanie ihre Hausaufgaben zu erledigen. Markus setzt sich mit ihr an den Küchentisch und lässt sich zeigen was sie aufhat. Ich bemerke seinen ratlosen Blick, da er nicht versteht wie das Rechnen gehen soll. Na, da muss ich nun doch wohl mal helfen. Somit erkläre ich beiden, dass sie bei 7+5 erst 7+3 rechnen müssen um auf 10 zu kommen, da sie gerade den 10er Übergang lernt und danach 10+2 rechnen müssen und somit auf 12 kommen. Die 5 muss auf 3 und 2 aufgeteilt werden.

Als beide verstanden haben wie es funktioniert ziehe ich mich wieder zurück.

Tobi sitzt derweilen bei mir auf dem Sofa und wir schauen uns gemeinsam leise ein Bilderbuch an, um nicht bei den Hausaufgaben zu stören.

Mittlerweile ist es 14.30 Uhr und ich merke meinem Mann an, dass er müde und k.o. ist.

Aber sein Tag ist noch lange nicht zu Ende, denke ich mir.

Markus schaut auf den Kalender, indem alle Termine unserer Familie eingetragen sind.

Ich hatte schon Sorgen, dass er die Nachmittagstermine unserer Kinder übersehen wird.

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Tobi ist um 15 Uhr auf einen Kindergeburtstag eingeladen und Melanie hat um 15.30 Uhr ein Fußballturnier.

Somit muss Markus nun wieder los um Tobi zum Geburtstag seines Freundes zu bringen.

Schnell ziehen sie sich Jacken und Schuhe an und gehen los. Kurz nachdem sie weg sind sehe ich, dass das Geburtstagsgeschenk, welches ich am Tag zuvor besorgt und eingepackt habe, noch auf dem Garderobentisch liegt.

15 Minuten später eilt Markus auch schon wieder in unsere Wohnung, schnappt sich das Geschenk und rennt ohne ein Wort zu sagen wieder los. Scheinbar hat er es nun gemerkt und bringt es unserem Sohn hinterher, dass er dann seinem Freund gratulieren kann.

Als er noch einmal zurück kommt ist es auch schon wieder Zeit um Melanie zu ihrem Fußballturnier zu fahren. Denn es ist nun mittlerweile schon 15.17 Uhr.

Ich bin froh, dass Melanie an ihre Fußballsachen denkt und eh ich mich versehe sind sie auch schon wieder fort. Bei Turnieren sind Eltern dabei und feuern die Mädchen an. Da die Mädchen 6 und 7 Jahre alt sind werden sie 2x30 Minuten spielen.

Kurz nach 17 Uhr kommt mein Mann und unsere Tochter zurück. Sie haben leider 2:3 verloren und unsere Tochter ist so traurig, dass sie weinen muss. Markus sitzt mit ihr auf dem Sofa und redet tröstend mit ihr. Nach einiger Zeit beruhigt sie sich und erzählt ausführlich von dem Spiel.

Kurz vor 18 Uhr muss Markus noch einmal los um unseren Sohn vom Kindergeburtstag abzuholen.

Als beide zurück kommen klagt Tobi über Bauchschmerzen. Es gab dort eindeutig zu viele Süßigkeiten. Markus macht ihm eine Wärmflasche und einen Tee. Unser Sohn liegt wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa und hat vorsichtshalber einen Eimer neben sich stehen.

Als es ihm besser geht ist es auch schon Zeit für ihn ins Bett zu gehen.

Markus hilft unserem Sohn beim Duschen und sich Bett fertig zu machen, wobei ich mich, als ich Markus sehe, frage wer von beiden denn nun geduscht hat? Tobi oder er? Sein Pullover ist vorne total nass und seine Hose trieft an seinen Oberschenkeln von Wasser. Wie wird da das Badezimmer aussehen? denke ich mir.

Aber ich habe mir ja vorgenommen nichts, aber auch gar nichts zu sagen – egal wie der Tag verlaufen wird.

Markus zieht sich schnell um und legt sich dann zu Tobi ins Bett um ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen.

Als er aus seinem Zimmer kommt sieht Markus so aus, als ob er fast eingeschlafen wäre.

Er hat es ja für heute bald geschafft. Jetzt muss nur noch Melanie ins Bett gebracht werden.

Da sie nach dem Fußballtraining dort schon geduscht hat ist sie schneller Bett fertig und auch sie bekommt abends noch eine Geschichte vorgelesen.

Und als Markus dann zu mir ins Wohnzimmer kommt, sieht er sehr geschafft aus.

Wir kuscheln uns auf dem Sofa aneinander und er gesteht mir, dass er meine Arbeit total unterschätzt hat.

Er wird nie mehr sagen, dass ein Haushalt zu führen, die Kinder zu versorgen, Termine einzuhalten keine Arbeit ist und ich mir meine Zeit doch frei einteilen kann.

Er hat gemerkt, dass sich der ganze Tag nach der Uhr richtet, da ist das, dann das, Termine und Bring-und Abholzeiten einzuhalten sind. Die Kinder versorgt und getröstet werden müssen. Und ihm nun bewusst ist, dass heute nicht mal putzen, saugen, wischen, einkaufen oder andere Hausarbeiten dabei waren. Nach den Pfannkuchen heute hat er gemerkt, dass wenn die Küche immer aufgeräumt ist, er nicht wahrnimmt, dass dies gemacht werden muss. Und das tagaus und tagein, immer und immer wieder. Wenn er eine Lampe anbringt, dann ist das einmal und wird gesehen.

Markus findet, dass diese wichtige Arbeit sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern und dafür kein Geld zu bekommen gerechter verteilt werden und diese alten Rollenbilder aufgebrochen werden müssen!

Dass was Frauen leisten eine unsichtbare Arbeit ist, weil es viele Tätigkeiten sind, die sich nicht in das klassische Schema von Arbeit einordnen lassen.

Und da diese Arbeit fast ausschließlich zuhause stattfindet, es untergeht welch emotionale, organisatorische und körperliche Leistung diese Arbeit ist.

Dass das für ihn so selbstverständlich war und er sich in Zukunft mehr einbringen wird!

Wir drücken uns ganz fest und bleiben aneinander gekuschelt, die Ruhe im Haus genießend, sitzen.

Kurze Zeit später merke ich, dass Markus erschöpft eingeschlafen ist.

 

 

Voller Vorfreude betrete ich den Eingangsbereich der Wellness-Einrichtung und steuere auf den Anmeldeschalter zu. Eine freundliche Frau heißt mich herzlich willkommen und erkundigt sich, ob ich heute einzelne Angebote oder das ganze Wellness-Programm machen möchte. Lächelnd antworte ich ihr: „EINMAL BITTE ALLES“.